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Zugehörigkeit als Strategie zur Deradikalisierung
Die Frage, warum sich Jugendliche für den Islamismus interessieren und sich dem Jihadismus anschließen, ist in den letzten Monaten immer wieder gestellt worden. Seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo ist sie virulenter denn je – gerade auch im Schulalltag.
Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer nun konkret mit den aktuellen Herausforderungen umgehen? Was können und sollen sie dieser Form von Radikalisierung entgegenhalten?
Die Schulen brauchen hier – wie bereits in verschiedenen Beiträgen angeregt – ohne Zweifel Unterstützung, da sie in der Regel weder über entsprechendes Know How in der Extremismus-Prävention noch über fundierte Kenntnisse zu islamischer Theologie verfügen. Zudem soll – so wird ermutigt – der kritische Umgang mit dem Internet im Unterricht stärker thematisiert werden, ein entsprechendes Demokratieverständnis gefördert werden, etc.. Einzelne Programme und Angebote laufen bereits an. Gut so!
Allerdings ist all diesen Ansätzen gemeinsam, dass sie von einem Defizit ausgehen: zu wenig Toleranz, zu wenig Sinn für Demokratie, zu wenig Wissen, zu wenig Integration. Das ist in gewisser Weise systemimmanent. Warum also halten wir nicht einfach nach vorhandenen Ressourcen im System Ausschau und rücken diese in den Fokus unseres Handelns?
Zugehörigkeiten und Identitäten
Nun besteht die Anziehungskraft des Islamismus für junge Männer und Frauen ja nicht zuletzt darin, dass sie sich einem größeren Ganzen zugehörig fühlen, dass sie in der Gruppe der „heiligen Krieger“ ihre eigene Identität als stabiler, als mit mehr Orientierung ausgestattet empfinden.
Und da liegt wohl auch eines der größten Potentiale, die eine Schulgemeinschaft zu bieten hat: Sie kann für Kinder und Jugendliche genau jenen Rahmen zur Verfügung stellen, der sie dazu befähigt, im sozialen Miteinander eine grundsolide eigene Identität auszubilden. Schaffen wir Zugehörigkeit, schaffen wir Zusammengehörigkeit – und zwar real gelebte!
Teil eines Systems zu sein, kann auf qualitativ unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Als schwächste Form gilt der Nicht-Ausschluss. Auf der nächsten Stufe steht einerseits Zugehörigkeit – so ist man etwa über eine Staatsbürgerschaft zu einem Staat zugehörig –, andererseits auch Zusammengehörigkeit, die sich stärker über emotionale Aspekte definiert. „Je suis Charlie“ als verbindende Solidaritätsadresse nach den Anschlägen in Paris könnte etwa ein solches Beispiel sein. Eine noch stärkere Einbettung in ein System – so Matthias Varga von Kibéd kürzlich in einem Workshop zum Thema „Leben & Arbeiten in Verbundenheit“ in Wien – findet dann statt, wenn sich Zugehörigkeit mit dem Gefühl von Zusammengehörigkeit verbindet, wenn also beides gleichzeitig vorhanden ist. Gewöhnlich wird dies als überaus stärkend wahrgenommen.
Verbindung und Trennung gehören zusammen
Dennoch ist es keineswegs erstrebenswert, in der Schule ausschließlich auf Verbundenheit zu setzen. Vielmehr braucht es genauso die Förderung der unverwechselbaren Individualität mit den je spezifischen Talenten und Ressourcen eines jeden jungen Menschen. Das korrespondiert auch mit den beiden Grunderfahrungen, die – wie Gerald Hüther hervorzuheben pflegt – alle Menschen schon im Mutterleib miteinander teilten: nämlich über die Nabelschnur verbunden zu sein und gleichzeitig wachsen und somit auch „anders“ werden zu dürfen. Es kann sich dabei ganz offensichtlich niemals um ein „entweder oder“, sondern immer nur um ein „sowohl als auch“ handeln.
Selbst wenn sich die unerwünschten Aspekte von Verbinden einerseits und von Trennen andererseits zeigen sollten, hilft der Blick von der gegenüberliegenden Seite, um eine mögliche Lösung zu finden. Im gemeinsamen Workshop betonten Siegfried Essen und Matthias Varga von Kibéd, dass die heilsame Verbindung bei Abspaltung eben über die Verbundenheit, bei Vermengung jedoch durch Unterscheidung entstehen würde. Um es nochmals anders zu formulieren: Wenn ein Teil von etwas abgespalten ist, kann es hilfreich sein, damit wieder eine Beziehung aufzubauen. Wenn jedoch die einzelnen Teile nicht mehr erkennbar sind, kann es genauso klärend sein, sie wieder in ihrer Unterschiedenheit wahrzunehmen. Das lässt sich auch auf den Schulalltag übertragen.
Nun wissen wir aus der Bindungstheorie, dass Kinder insbesondere über vertrauensvolle Beziehungen zu Eltern oder auch anderen Bezugspersonen, die ihnen gleichzeitig etwas zutrauen, resilienter werden – also eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber den Herausforderungen des Lebens aufbauen können. Ganz zentral, um diese Fähigkeit entwickeln zu können, ist das Gefühl von Selbstwirksamkeit, nämlich die Einsicht, dass das eigene Handeln etwas verändern kann. Sie entsteht, wenn sich Vertrauen bekommen mit Verantwortung übernehmen und über das eigene Tun Erkenntnisse sammeln miteinander verbinden können.
Partizipation und Verantwortung
Nicht „Kuschelkurs“, sondern auf Augenhöhe ein mögliches Maß an Eigenverantwortlichkeit der Kinder und Jugendlichen für ihren Anteil am gedeihlichen Zusammenleben einzufordern, ist die Devise. Gleichzeitig soll natürlich auch nicht vergessen werden, dass sie eben in ihrer Persönlichkeitsentwicklung vieles über das Nachahmen von Role Models lernen. Eindrückliche Vorbilder beeinflussen diesen Prozess ohne Zweifel maßgeblich.
Fast überall in Österreich zeigt sich die Schülerschaft an den Schulen deutlich heterogener und bunter als ihr Lehrkörper. In der traditionellen Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden bleibt alleine aus dieser Konstellation heraus wertvolles Know How ungenutzt. Warum sollen Schüler und Schülerinnen also nicht ihr Recht bekommen und in die Pflicht genommen werden? Sie können etwa als Mentorinnen oder als kulturelle Brückenbauer, aber auch als Lerncoaches und Tutorinnen Verantwortlichkeiten für nachfolgende Jahrgänge übernehmen und sich partizipativ und eigenständig in das Gelingen der Schulgemeinschaft einbringen. Mehr und breiter gestreute Vorbilder in ganz unterschiedlichen Bereichen schaffen mehr Möglichkeiten zur Identifikation, mehr Anlaufstellen in schwierigen Situationen.
Kinder und Jugendliche sind dadurch keineswegs überfordert, wenn ihnen die Grundkonzepte vermittelt und die entsprechenden Haltungen auch vorgelebt werden, wenn sie also durch nachahmen einerseits, durch die Erlaubnis, Dinge auszuprobieren, andererseits dazu animiert werden, das selbst zu erlernen. Auch für die Pädagoginnen und Pädagogen entstehen neue Freiräume, wenn sie an der Schule sozusagen nicht mehr für alles zuständig sind – eine win-win-Situation also. Im Erfahrungsraum der Schulgemeinschaft lässt sich für alle Beteiligten viel lernen, insbesondere wenn man sich auf Perspektiven- und Rollenwechsel einlässt.
Diese „Therapie“ wird vielleicht nicht unmittelbar wirksam werden, schafft jedoch mittelfristig vollkommen andere Rahmenbedingungen für die Übernahme von Verantwortlichkeiten, für die Herausbildung einer tragfähigen Vertrauensbasis und ganz generell für vielfältige Erkenntnisse.
3 Kommentare
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